18.06.2023-22.06.2023 - Was bringt Jugendliche und Lehrer aus Deutschland und Polen zusammen?
Was bringt sie dazu, sich über die gemeinsame „geteilte“ Geschichte auszutauschen, die gemeinsame Gegenwart zu verstehen und die gemeinsame Zukunft zu denken? Auf diese Fragen gibt es keine einfache Antworten, jedoch unterschiedliche Wege und Möglichkeiten, um zu diesen Antworten zu gelangen.
Bereits zum zweiten Mal wurde daher das Projekt „No More War“ in der polnisch-deutschen Begegnungsstätte in Kreisau (Schlesien) durchgeführt, um sich der gemeinsamen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu nähern. Vorangegangen waren in den beteiligten drei deutschen und drei polnischen Schulen aus Rheinfelden (Baden-Württemberg), Eberswalde (Brandenburg), Berlin, Stettin sowie Poznan Unterrichtsstunden in deutsch-polnischer Geschichte. Aus Eberswalde kamen 6 Schülerinnen und Schüler der 11. Klasse des Beruflichen Gymnasiums zusammen mit ihrem Tutor, Dr. Stephan Theilig.
Bewusst wurde die Geschichte Schlesiens als „geteilte Geschichte“ gewählt, einer Region, die sowohl für die deutschen als auch polnischen Erinnerungskulturen eine zentrale Rolle spielt. Die Narration der gemeinsamen Erinnerungen reicht zurück bis in den Landesausbau unter Herzog Heinrich und seiner Frau Hedwig im Mittelalter (letztere hat bis heute als Heilige Hedwig sowohl in Deutschland wie auch Polen einen festen Platz eingenommen). Es gilt genauso für das Schloss und Gut Kreisau, welches für Graf Helmut James von Moltke und den Kreisauer Kreis ein sicherer Hort in ein der düstersten Momente der deutsch-polnischen Geschichte im 20. Jahrhundert wurde, wo Hoffnungen und Visionen für ein friedliches Miteinander im Geheimen entwickelt wurden. Aber auch die schmerzhaften Erinnerungen des Krieges, der Vertreibungen und der Flucht, der Suche nach neuer Heimat und Heimatlosigkeit sind Teil dieser Geschichte. Nicht zuletzt ist es dieses Kreisau, welches am 12.November 1989 zum Schauplatz der Versöhnungsmesse zwischen Deutschen und Polen und damit für ein Zeichen des friedlichen Miteinanders wurde.
Trotzdem sich die Schülerinnen und Schüler über Monate hinweg bereits kannten, sich in digitalen Treffen und Videos sahen und ihre Unterrichtsergebnisse gegenseitig austauschten und auswerteten, waren die ersten Begegnungen nach der Ankunft und den teilweise sehr langen Reisen zunächst zaghaft. Doch Kreisau wäre nicht Kreisau, wenn man hier nicht schnell zueinander finden könnte.
Die Projektarbeit selbst sah vor, in drei Gruppen verschiedene Zugänge zum Themenfeld der deutsch-polnischen Beziehungen und zu Kreisau zu entwickeln. So befasste sich eine Gruppe mit der Entwicklung eines „Urban-Game“, in welchem Neuankömmlinge mit dem Ort, seiner Geschichte und der Landschaft spielerisch vertraut gemacht werden sollten. Zwei Gruppen wurden entwickelt, die mit unterschiedlichen Rätseln und Aufgaben versehen sich auf eine Suche vom Bahnhof, zum Kapellenberg, der Kirche, dem Schloss, dem Ausstellungslabyrint der deutsch-polnischen Geschichte bis hinauf zum Haus auf dem Berg, dem Ort des „Kreisauer Kreises“ begeben sollten.
Die zweite Projektgruppe entwickelte personalisierte Fahnen zum Thema „Frieden“. Die Jugendlichen mussten sich zunächst mit ihrem eignen Friedensbegriff auseinandersetzen und Wege finden, diesen zu gestalten. Die Herausforderung dabei war, dass sie weder schreiben noch malen, sondern allein nähen durften. Für manche war dies das erste Mal in ihrem Leben mit Nadel und Faden in der Hand. In einem Gruppentreffen stellten die Schülerinnen und Schüler ihre Fahnen vor und ließen sie vor dem Schloss im Winde wehen.
Die dritte Gruppe arbeitete eher performativ, indem die Farben der deutschen, polnischen und ukrainischen Flaggen miteinander vermischt wurden. Diese experimentellen Prozesse führten zu Farbvariationen und Formen, die miteinander spielten und letztlich die trennenden Strukturen verschwinden ließen. Aus den Experimenten wurde eine digitale Animation entwickelt und das Symbol für dieses Projekt geboren.
Darüber hinaus bildeten Führungen über das Gelände, Gespräche über den Kreisauer Kreis im Haus auf dem Berg, wo symbolisch der Tisch des Gesprächskreises zusammengefügt wurde, aber auch Vorträge zum Thema „Krieg und Frieden“ im Kontext der Kunstgeschichte oder aber der Friedensinitiative der „Internationalen Delphischen Spiele“ den begleitenden Rahmen. Am letzten Tag folgte noch eine beeindruckende Führung durch die historische Ausstellung im Depot von Breslau zur Geschichte der Stadt zwischen 1945 und 2016.
Eine Begegnung von jungen Menschen lebt aber besonders vom Miteinander, sei es am Lagerfeuer mit Gesang und Tanz, beim gemeinsamen Spiel, letztlich dem miteinander leben. Leider gehört dazu auch das Abschiednehmen, welches jedoch mit der Hoffnung auf eine Fortführung des Projektes verbunden ist. Dank gilt den vielen Menschen und Institutionen, welche das Projekt möglich gemacht haben, dem deutsch-polnischen Jugendwerk, der deutsch-polnischen Schulbuchkommission, dem Internationalen Delphischen Komitee, den Künstlern, Betreuern und Wissenschaftlern, jedoch nicht zuletzt der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Kreisau und den Partnerschulen in Deutschland und Polen.
Bericht und Fotos (5): Herr Dr. Stephan Theilig