nach Oświęcim (Auschwitz) und Krakau, 11.3.-15.3.2024
Dieser Text wurde aus Einzelberichten und Reflexionen von Teilnehmern der Reise zusammengefügt und anschließend noch einmal überarbeitet.
11. März 2024
Unsere Busfahrt begann am Montagmorgen und sollte viele Stunden dauern. Unser Busfahrer Krzysztof erwies sich jedoch als freundlich, kompetent und rücksichtsvoll, sodass er für unseren Komfort und eine ausreichende Anzahl von Pausen sorgte. Bereits auf der Fahrt befassten wir uns mit Texten, die sich mit dem Völkermord und dem Weg dorthin auseinandersetzten. Die Lektüre war manchmal etwas schwierig, weil wir uns die Bedeutung hinter den Worten nur schwer vorstellen konnten. Am späten Nachmittag erreichten wir unser Hotel am Marktplatz von Oświęcim (Auschwitz), dem „Polin House“. „Polin“ ist Jiddisch und bedeutet „Polen“. Hier war auch eine französische Großfamilie untergebracht, deren zahlreiche Angehörige in Auschwitz ermordet worden waren und die zum „Besuch“ angereist waren. Mit Ihneen führten wir ein kurzes Gespräch. Zum Abendessen gingen wir in ein kleines Restaurant am Marktplatz. Im Anschluss hatten wir noch Zeit für einen kleinen Spaziergang durch das Zentrum der Stadt.
12. März 2024
Am Dienstag, dem 12. März 2024, starteten wir nach dem Frühstück im „Polin House“ in Oświecim mit einer tiefergehenden Vorbereitung. Wir tauschten unsere Gedanken, Befürchtungen, Erwartungen und Ängste aus. Ein einstimmender Test, bestehend aus der Erstellung eines Zeitstrahls und einem Multiple-Choice-Test, half anschließend tatsächlich, unser Wissen zu reaktivieren und uns auf den Besuch einzustimmen. Das Spiel „Textura“ bot danach eine weitere Gelegenheit, Geschichtserzählungen zu den Themen des Konzentrations- und Vernichtungslagerlagers Auschwitz und des Zweiten Weltkriegs zu legen, indem unterschiedliche Themenkarten kombiniert wurden.
Auf dem anschließenden Fußweg zum Konzentrationslager setzten wir unsere Gespräche fort und bereiteten uns mental auf das bevorstehende Erlebnis vor. Nachdem wir über die zum Stammlager nahegelegene Brücke gingen, über den Fluss, in den teilweise die Asche des Krematoriums geworfen worden war, verstummten unsere Worte. Im Pädagogikzentrum des Museums Auschwitz angekommen und freundlich begrüßt, erhielten wir eine Einführung unter der Überschrift „Auschwitz ist nicht vom Himmel gefallen“. Das Zitat stammt von Marian Turski, einem Holocaust-Überlebenden, der nach dem Krieg seine Erinnerungen festhielt. Mithilfe einer Präsentation erarbeiteten wir uns noch einmal die schrittweise Eskalation der Diskriminierung und Verfolgung sowie die nationalsozialistische Ideologie, auf der die Massenvernichtung und der Völkermord fußten: Rassismus, Antisemitismus, Vergrößerung des östlichen Lebensraumes, Volksgemeinschaft und das Führerprinzip.
Nach einer kurzen Pause begann dann die eigentliche, 3,5-stündige Führung durch das Stammlager Auschwitz vor dem Tor mit der zynischen Inschrift „Arbeit macht frei“. Wir besichtigten die Blöcke mit teilweise noch erhaltenem originalen roten Böden und erhielten Einblicke in das entmenschlichte Leben der Inhaftierten. In den Ausstellungen in den unterschiedlichen Blöcken, die alle noch original erhalten sind, waren die geraubten Hinterlassenschaften der Deportierten und Ermordeten zu sehen: Räume voller Schuhe, Koffer, Geschirr und ... einen Raum, gefüllt mit 2 Tonnen menschlichen Haars, das 40.000 Ermordeten gehörte. Auch die Ausstellungen und Exponate zu den Kindern in Auschwitz trieben uns allen die Tränen in die Augen. Bedrückend war auch die Atmosphäre im Folterkeller des Gefängnisblock 11. Der Appellplatz, an dem Häftlinge kontrolliert und misshandelt wurden, der Gefängnisblock 11 sowie die schwarze Hinrichtungswand, wo Tausende ohne Grund erschossen wurden, waren besonders bewegende Stationen. Unsere Klasse entzündete dort eine Kerze, die wir vorher in der Schule beschriftet hatten, und hielten eine Schweigeminute. Wir benötigten oftmals kleine Pausen, um durchzuatmen. Die Atmosphäre des Tages, passend zu unserer bedrückten Stimmung: bewölkt und regnerisch. Die Stille während unseres Weges in beiden Gedenkstätten, verstärkt durch den ernsten Gedanken an die hinter den Mauern eingesperrten Menschen, hinterließ einen tiefen Eindruck. Dagegen stand die freundliche und moderne Architektur und Ausstattung des Pädagogikzentrums und der Besuchergebäude, aber auch die freundliche und einfühlsame Art unseres Begleiters, die im Gegensatz zu der Schwere des Themas stand. Doch die Führung durch das Lager von Birkenau, welches in seinen Dimensionen kaum fassbar ist, brachte uns die schreckliche Realität näher. Wir besichtigten zwei Baracken und gingen die Rampe hunderte Meter entlang. Hier hielten Züge mit bis zu 40 Waggons, jeder mit bis zu 100 Menschen, die alle zur Vernichtung vorgesehen waren. An dem Ort, wo die Selektionen stattfanden und hunderttausende Menschen selektiert und in einem Bruchteil einer Sekunde über ihr Schicksal entschieden wurde, hörten wir eher betäubt von dem Erlebten den Ausführungen zu. Der letzte Weg führte uns zu den Ruinen der Krematorien. Am zentralen Denkmal entzündeten wir abermals eine Kerze, bevor wir als letzte Besucher, in der Abenddämmerung und im leichten aklten Nieselregen über die Lagerstraße zum Ausgang liefen.
Exkurs einer Schülerin: „Die Gaskammer im Stammlager Auschwitz I war ein zentraler Ort des Schreckens und der Barbarei während des Holocausts. Neutral betrachtet, war diese Gaskammer Ursprung und zugleich ein Teil des industrialisierten Vernichtungssystems während des Nationalsozialismus. Sie diente allein dazu, eine große Anzahl von Menschen auf eine schnelle, dabei grausame und ‚effiziente‘ Weise zu ermorden, hauptsächlich jüdische Frauen, Kinder und Männer, Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene, aber auch eine Vielzahl anderer Gefangener. Der Aufbau dieser Kammer ist sehr schlicht. Nachdem wir den Eingang passiert hatten, kamen wir in eine betonierte Kammer ohne Fenster. An der Decke waren vier Öffnungen zu sehen. Durch diese Schächte wurde das Zyklon B eingelassen, ein Mittel, das ursprünglich zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt wurde. Dies führte innerhalb weniger Minuten zum Tod ungezählter Menschen. Diese Kammer war wesentlich kleiner als die vier Kammern in Birkenau. In den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau konnten je nach Größe der Kammer bis zu 2.000 Menschen gleichzeitig getötet werden. Die genaue Kapazität variierte zwischen den verschiedenen Kammern und den Phasen des Lagerbetriebs. Direkt neben der eigentlichen Gaskammer befinden sich im Stammlager die Krematoriumsöfen zur sofortigen Verbrennung der zuvor ermordeten Menschen. Die Gaskammern waren eines von vielen ‚Werkzeugen‘ der Massenvernichtung. Wir kamen lebendig heraus.“
Den Abend verbrachten wir zusammen in einem kleinen Restaurant am Marktplatz. Es gab polnische Spezialitäten wie Żurek (eine traditionelle Sauerteigsuppe), unterschiedlichste gefüllte Pierogi (gefüllte Teigtaschen), aber auch Schnitzel, Pommes, Pizza und Pasta. Nach diesem emotional langen Tag war dies genau die richtige Entscheidung. Viel Hunger aber hatte niemand.
13. März 2024
Gleich nach dem Frühstück machten wir uns erneut auf, um zum Pädagogischen Zentrum des Museums Auschwitz zu gehen, wo wir bereits am Vortag gewesen waren. Dieses liegt direkt an den Mauern des KZ. Stacheldraht, die Mauern und die Blöcke sind überall zu sehen. An der Seite stehen die Wachtürme. Aus den Fenstern des Zentrums sieht man in das Stammlager hinein. Dort erwartete uns ein mehrstündiger Workshop mit Krystyna Leśniak. Sie arbeitet dort seit 30 Jahren im Archiv. Für uns hatte sie die Schicksale von Eberswalder Bürgern recherchiert, deren Akten und Dokumente wir einsehen konnten. So lernten wir die Schicksale von Rozalia Kowalczyk, Josef und Michael Matz, Rudi Winter, Reimon van Pee und Otto Max Hermann Assmann kennen. Von ihnen gab es sowohl im Archiv von Auschwitz als auch im Arolsen Archiv noch Aufnahmekarten, Stammkarten, Kleiderkarten, Postverzeichnisse und vieles mehr. Es war erschreckend zu sehen, wie genau und gründlich alles festgehalten wurde. Krystyna erzählte uns, dass das Archiv voll sei, aber alles zusammen nur ein Bruchteil des einstigen Aktenbestandes war. Sie erläuterte uns die Bedeutung der Bezeichnungen für die Todesursachen. Meist stand zum Beispiel „plötzlicher Herzstillstand“ für Erschießungen. Viele der vorgestellten Eberswalder waren Sinti und Roma. Wir hatten dann die Möglichkeit, uns selbst Akten und Berichte anzuschauen, lasen erschreckende Zeugenberichte, sahen Listen durch und betrachteten die Verwaltungsakten genauer. Krystyna bot an, uns weitere Informationen zu senden und in Kontakt mit uns zu bleiben.
Nach dem Workshop mussten wir erst einmal durchatmen. Wir sprachen miteinander, manche gingen etwas entlang der Mauer spazieren. In kleinen Gruppen besprachen wir das Erlebte.
Eigentlich sollte am Nachmittag noch ein Stadtrundgang und ein Besuch der Synagoge stattfinden. Wir waren aber zu sehr beeindruckt von den letzten beiden Tagen. Wir fuhren daher am Nachmittag, nach dem Checkout, schon etwas früher nach Krakau.
Dort fuhren wir zu unserem Hotel „Kazimierz III“, das inmitten des alten jüdischen Viertels von Krakau liegt. In kleinen Gruppen erkundeten wir am späten Nachmittag und frühen Abend unsere nähere Umgebung und entdeckten eine Großstadt mit einer alten und reichen Geschichte, die viele von uns so nicht in Polen erwartet hätten.
14. März 2024
Das Frühstück beeindruckte uns alle! Noch mehr beeindruckte uns aber die Ausdauer unseres Stadtführers Krzysztof. Der Onkel von Frau Drewnowska ist 76 Jahre alt, ehemaliger Fallschirmspringer und führte uns die nächsten 3 Stunden durch das jüdische Viertel und die Altstadt. Er erzählte uns von der Geschichte der jüdischen Gemeinde, zeigte uns die Orte der ältesten jüdischen Geschichte in Osteuropa, zahlreiche Synagogen, Geschichten zu Gebäuden und deren Bewohnern. Krakau war die alte Hauptstadt von Polen-Litauen, einem Reich, das im 15. und 16. Jahrhundert von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichte. Zahlreiche Religionen und Bevölkerungsgruppen lebten hier. Die Toleranz führte dazu, dass sich sowohl Muslime, Christen als auch Juden, zumindest friedlich, miteinander arrangierten. Krzysztof führte uns auch auf den Wawel, hoch über der Weichsel, einem uns beeindruckenden Gebäudekomplex. Viele von uns entschieden sich, dass sie auf jeden Fall wiederkommen würden. Durch die Altstadt liefen wir an den Häusern von Veit Stoß, Kopernikus und Balzac vorbei bis hin zum größten Marktplatz Europas, dem Tuchbasar, und zur Marienbasilika, wo wir uns hineinschmuggeln konnten, um einen kurzen Blick auf den Altar zu erhaschen, und draußen das berühmte Trompetersignal hörten.
Nach der Führung und einer kurzen Mittagspause besuchten wir die Tempel-Synagoge. Sie befand sich nur hundert Meter von unserem Hotel entfernt. Sie ist bekannt für ihre beeindruckende Architektur und reiche Innenausstattung. Die Synagoge wurde Ende des 19. Jahrhunderts im maurischen Stil erbaut, ähnlich wie die Synagoge in Berlin und die ehemalige Synagoge in Eberswalde. Die Innenausstattung der Tempel-Synagoge ist besonders prachtvoll und umfasst reiche Ornamente, bunte Glasfenster sowie eine beeindruckende Bima (Podest, von dem aus die Tora gelesen wird) und einen prächtigen Toraschrein. Sie hat trotz der Zerstörungen während des Zweiten Weltkriegs und der nachfolgenden Jahre, in denen viele jüdische Einrichtungen stark gelitten haben, viel von ihrer ursprünglichen Pracht bewahrt.
Zum Mittag aßen wir alle zusammen auf dem Plac Nowy jeder eine Zapiekanka (das wohl typischste polnische Fastfood), etwas übergroße belegte Baguettes mit Mayonnaise und Ketchup.
Einige von uns versuchten sich danach noch erfolgreich im Handeln bei den zahlreichen Händlern am Platz. Gestärkt führte uns danach Jessica auf den Spuren von „Schindlers Liste“ zu den Drehorten und den Orten der tragischen Geschichte des Ghettos in Krakau, das genau am 14. März (also heute) geräumt und die 80.000 Bewohner in die Vernichtungslager in Belzec und Auschwitz deportiert worden waren. Wir erkannten Orte aus dem Film wieder, den wir vor der Reise zusammen gesehen hatten. Jessica führte uns direkt in das ehemalige Ghetto bis hin zur Emaillefabrik von Oskar Schindler. Einige von uns gingen noch mit bis zu der Brücke, über welche die Menschen in dem Film (und in der Realität) über die Weichsel getrieben wurden.
Insgesamt legten wir an dem Tag etwa 14 Kilometer zu Fuß zurück. Das war mit ein Grund, weshalb nur wenige noch einmal am Abend kurz die Gelegenheit nutzten, sich in der Umgebung umzusehen.
15. März 2024
Nach den anstrengenden letzten Tagen genossen wir noch einmal das tolle Frühstück in unserem Hotel, machten den Checkout und stiegen in unseren Bus. Einige von uns arbeiteten an ihren Berichten zur Studienreise, andere lasen, schrieben Tagebuch, schliefen oder unterhielten sich über das Erlebte. Unser Fahrer sorgte für eine angenehme Fahrt, auch wenn diese sehr lange dauerte, aber von kurzen Stopps unterbrochen wurde. An der Grenze wurden wir nur kurz kontrolliert, sodass alles nach einer reibungslosen Rückreise aussah. Doch nach 1500 km unserer Reise, kurz vor der Ausfahrt Bernau Nord, platzten beide Reifen an der hinteren rechten Seite des Busses. Ein Schock, besonders für unseren Busfahrer, der die ganze Zeit auf technische Einwandfreiheit geachtet hatte. Der Bus war ja auch zu Beginn der Reise vor der Schule von der Polizei technisch überprüft worden. So standen wir auf dem Seitenstreifen, 25 Minuten vor dem Ziel. Die Pannenstelle wurde gesichert, die Polizei informiert, und ein Pannenteam machte sich auf den Weg zu uns. Dann kam auch die Autobahnpolizei, und nach einer kurzen Beratung wurde entschieden, dass wir die 150 Meter zur nächsten Brücke hinter der Fahrbahnbegrenzung liefen, eskortiert von der Polizei auf dem Seitenstreifen. Diese spielte zudem noch aus den Lautsprechern den Zwergensong aus „Schneewittchen“, sodass die Laune nicht wirklich schlecht war. Wir halfen uns gegenseitig mit dem Gepäck, stiegen die Treppen der Brücke hinauf und liefen noch ein paar Meter bis zum McDonald's von Bernau. Hier campierten wir, ein paar von uns wurden von den Familien von hier aus abgeholt. Die Lehrer und zwei Schülerinnen warteten noch, bis Krzysztof (unser Busfahrer hieß auch so!) mit dem reparierten Bus auf dem Parkplatz stand, um unsere Reise zu Ende zu bringen. Zwei Stunden später als geplant kamen wir in Eberswalde an, bedankten uns und beendeten damit erfolgreich die erste Studienreise von Schülerinnen und Schülern der Oberbarnimschulen nach Auschwitz und Krakau.
Bericht: Dr. Theilig
Fotos (6): Herrn Nix